Therapie der Endokrinen Orbitopathie
Aktualisiert (Dienstag, 08. Juni 2010)
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Über die richtige Therapie der endokrinen Orbitopathie gibt es unterschiedliche Ansichten. Erstes Ziel ist die Beseitigung der Schilddrüsenüberfunktion. Ob eine vollständige Entfernung der Schilddrüse die endokrine Orbitopathie günstig beeinflusst oder sogar heilt, ist umstritten. Es gibt Untersuchungen, nach denen durch eine frühzeitige Entfernung der Schilddrüse bei einigen Erkrankten ein Rückgang der Orbitopathie festgestellt wurde.
Falls Sie sich für eine Radiojodbehandlung entscheiden, sollten Sie diese nur unter Cortisonschutz durchführen, um der Verschlechterung einer endokrinen Orbitopathie oder einer Auslösung der endokrinen Orbitopathie vorzubeugen.
Bei einer Radiojodbehandlung ohne Cortisonschutz kommt es bei einem Teil der Patienten zur Aktivitätszunahme der endokrinen Orbitopathie.
Wichtig ist es, bei der Behandlung darauf zu achten, dass nach Kontrolle der Überfunktion der Schilddrüse durch die Behandlung keine Unterfunktion auftritt. Das durch eine Unterfunktion erhöhte TSH kann den Orbitabefund und die damit zusammenhängenden Beschwerden erheblich verschlechtern.
Insgesamt ist die weitere Entwicklung einer bestehenden endokrinen Orbitopathie schwer vorherzusagen. Die bisher zur Verfügung stehenden Therapien sind nicht oder nur teilweise zufriedenstellend. Das Grundprinzip der Behandlung lautet zunächst: engmaschige Befundüberwachung alle 4-6 Wochen. Sobald sich eine Zunahme der Beschwerden und der Symptome zeigt, sollte eine entzündungshemmende Behandlung begonnen werden.
Bestrahlung
Die Röntgenbestrahlung des Gewebes hinter dem Auge (Retrobulbärbestrahlung) wurde in der Vergangenheit oft angewandt. Eine Bestrahlung wurde nur im aktiven Stadium der endokrinen Orbitopathie durchgeführt. In früheren Veröffentlichungen wurden Erfolgsraten von 70 - 80% angegeben. Nach neuesten Untersuchungen können diese Erfolgsraten jedoch nicht bestätigt werden.
Die Retrobulbärbestrahlung erweist sich nach diesen Untersuchungen offenbar als weitgehend wirkungslos. Eine Retrobulbärbestrahlung wird heute nur noch empfohlen, wenn Doppelbilder oder Augenmuskelfunktionsstörungen vorliegen.
Die Bestrahlung sollte dann in niedrigeren Dosierungen und über einen längeren Zeitraum vorgenommen werden als dies in früheren Untersuchungen üblich war. Durch weitere Studien zu diesem Thema soll die bestwirksame Strahlendosierung gefunden werden. Durch die Bestrahlung der Augenmuskeln soll es zu einer Hemmung der entzündlichen Muskelveränderungen kommen. Vor Beginn einer Bestrahlung sollte eine Kernspintomographie veranlasst werden, um den Grad der Orbitopathie festzustellen.
Die Bestrahlung erfolgt von den Schläfen her. Dabei wird das hinter dem Auge liegende entzündlich geschwollene Gewebe bestrahlt. Die Strahlenmenge wird auf tägliche kleine Dosen verteilt (über 6 Wochen dauernde Behandlung) um den größten Erfolg zu erzielen. Die Augen selbst werden nicht bestrahlt, sondern zur Schonung bei der Bestrahlung abgedeckt.
Mehrere neue Studien haben den Nutzen der Bestrahlung erheblich in Frage gestellt. Oft wurden keine oder eine nur geringfügige Besserungen der Orbitopathie registriert.
Nebenwirkungen der Bestrahlung
In Folge der Bestrahlung können selten Kopfschmerzen auftreten. Gelegentlich kommt es zunächst zu einer verstärkten Schwellung des Gewebes, die sich dann aber zurückbildet.
Entzündungen der Netzhaut sind nur nach zu hohen Strahlendosen berichtet worden. Zuckerkranke (Diabetiker) mit Netzhautveränderungen sollten nicht bestrahlt werden.
Immunglobuline
Die Behandlung mit hochdosierten Immunglobulinen hat sich nicht als wirksamer als andere Therapieverfahren erwiesen und wird heute aufgrund des möglichen Infektionsrisikos und den hohen Behandlungskosten kaum noch angewendet.
Cortison
Üblicherweise gilt die Behandlung der endokrinen Orbitopathie mit Cortison als Standardtherapie. Andere das Immunsystem unterdrückende Medikamente haben sich bisher nur in Einzelfällen als wirksam erwiesen. Cortison sollte nur bei aktiver endokriner Orbitopathie gegeben werden.
Cortison kommt bei hervortretenden Augen oder entzündlichen Veränderungen der vorderen Augenabschnitte zum Einsatz. Es kann die Orbitopathie nicht heilen, aber in etwa 60% der Fälle lindern. Die Dosierung erfolgt individuell nach Schweregrad der Erkrankung.
Eine Kombination von Cortison mit dem in der Rheumatherapie eingesetzten Chemotherapeutikum Methotrexat scheint ebenfalls wirksam zu sein.
Plasmapherese
Bei der Plasmapherese handelt es sich um ein aufwendiges Verfahren, bei dem die Antikörper aus dem Blut gefiltert werden. Eine Sonderform der Plasmapherese, die sogenannte Immunabsorption, ist schweren Fällen vorbehalten und wird heute nur noch selten und nur an wenigen spezialisierten Zentren durchgeführt.
Methotrexat
Das auch in der Behandlung von anderen autoimmunen Krankheiten (Rheuma, Lupus Erythematodes) eingesetzte Medikament Methotrexat scheint bei schweren Formen der endokrinen Orbitopathie gute Erfolge zu zeigen. Methotrexat hemmt unspezifisch das Immunsystem und unterdrückt unter anderem die Antikörperproduktion. In hohen Dosierungen wird es zur Behandlung von Krebserkrankungen eingesetzt. Methotrexat wird zur Behandlung der endokrinen Orbitopathie in niedriger Dosierung angewandt und ist in dieser Form kein "Krebsmittel". Auf mögliche Nebenwirkungen muss geachtet werden. Regelmäßige Blutbildkontrollen sowie Kontrollen der Leber-und Nierenwerte sind erforderlich. Alkohol sollte während der Einnahme gemieden werden. Unter einer Methotrexat Behandlung müssen Schwangerschaften zuverlässig verhütet werden, da sonst bei einer Schwangerschaft kindliche Fehlbildungen auftreten können. Weitere Untersuchungen müssen abgewartet werden.
Antioxidantien
Im Rahmen des Immunprozesses werden zahlreiche entzündungsfördernde Botenstoffe freigesetzt, die zur Stimulation und Schwellung des betroffenen Gewebes führen. In den Augenhöhlen kommt es zu Entzündung, Lidschwellung, Brennen, Druckgefühl, Tränen, Blendungsempfindlichkeit, Hervortreten der Augäpfel, Störungen der Augenbeweglichkeit bis hin zu Doppelbildern. Durch den Entzündungsprozess wird die Neubildung von Fettzellen angeregt, die dann immer mehr Antigene (v.a. TSH-Rezeptoren) hervorbringen. So wird einerseits der Immunprozess verstärkt, andererseits die Platznot in den Augenhöhlen immer schlimmer, weil neue Fettzellen nachdrängen und die Blutversorgung und der Blutabstrom sich verschlechtern. So kommt es zu einer kritisch schlechten Sauerstoffversorgung in den Augenhöhlen, was die Bildung sog. freier Sauerstoffradikale anregt. Dies sind hochreaktive Produkte, die zur Schädigung von Zellmembranen, Zellfunktionen und des zellulären Erbgutes führen. Rauchen verschlimmert die Entzündung und Fettgewebsneubildung in den Augenhöhlen, wobei nicht das Nikotin schädigt, sondern die beim Rauchen freiwerdenden oxidativen Verbindungen, also freie Sauerstoffradikale und andere pro-oxidative Verbindungen. Kommt der Entzündungsprozess (durch Spontanheilung oder geeignete Therapiemaßnahmen) nicht rechtzeitig zu Stillstand, resultieren schlimmstenfalls ein weites Vortreten der Augäpfel, Hornhautverletzungen und Druckschäden am Sehnerven. Später kommt es zu narbigen Umbauprozessen im Binde- und Fettgewebe in den Augenhöhlen sowie in den Augenmuskeln, was chronische Funktionseinbußen insbesondere der Augenmuskelbeweglichkeit zur Folge hat. Ein entscheidendes Behandlungsziel ist es deshalb, den Entzündungsprozess in den Augenhöhlen möglichst frühzeitig, rasch und effektiv zum Stillstand zu bringen, bevor nicht mehr umkehrbare Veränderungen eingetreten sind.
Zahlreiche Forschungsarbeiten und Erkenntnisse der letzten Jahre zeigen, dass freie Radikale und oxidative Prozesse den Immunprozess in der Schilddrüse und in den Augenhöhlen anheizen und für einen wesentlichen Teil der Schädigung in den Augenhöhlen verantwortlich sind. Sowohl Experimente an Zellkulturen, in Tiermodellen, aber auch klinische Untersuchungen am Menschen und bei Patienten mit aktiver endokriner Orbitopathie konnten bereits konkrete Hinweise für den Nutzen dieses Konzeptes liefern. Diese Erkenntnisse wurden nun auch in eine neue Therapiemöglichkeit umgesetzt, die derzeit in kontrollierten Studien überprüft wird.
Das neue Therapieprinzip besteht in der hochdosierten Zufuhr bestimmter Antioxidantien, um die Schutzsysteme gegen Radikalschäden möglichst gut aufzubauen und die körpereigenen Verteidigungsmechanismen maximal zu unterstützen. Zu den wichtigsten antioxidativen Substanzen zählen Vitamine (C, E, B, Betacarotin), Extrakte aus Traubenschalen und bunten Gemüsen, Selen, Alpha-Liponsäure, N-Acetyl-Cystein, Nicotinamid, Bioflavonoide und Omega-3-Fettsäuren (Lachsöl). Durch hochdosierte Kombination dieser gemeinsam wirkenden, natürlichen Substanzen soll der Entzündungsprozess abgeschwächt-, die Fettgewebsneubildung gehemmt- und die gestörte Immunbalance wieder ins Gleichgewicht gebracht werden.
Vorläufig muss ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass ein gesicherter Wirksamkeitsnachweis von Vitamin-/Antioxidantienpräparaten in Form kontrollierter klinischer Studien bislang noch nicht vorliegt. Studien zur Wirksamkeit werden zur Zeit durchgeführt. Angesichts der begrenzten Behandlungsalternativen, der bislang problemlosen Verträglichkeit, des geringen Nebenwirkungswahrscheinlichkeit und der bisherigen positiven Therapieerfahrungen sind derartige Präparate für Patienten mit endokriner Orbitopathie als unterstützende Therapiemaßnahme ein möglicher sinnvoller Behandlungsansatz.
Operation
Bei schweren Verläufen der endokrinen Orbitopathie ist die Operation erforderlich, besonders wenn der Sehnerv beeinträchtigt ist.
Ist der Sehnerv durch die Schwellung des Gewebes gefährdet, muss durch rasche Operation eine Druckentlastung (orbitale Dekompression) vorgenommen werden. Eine solche Operation kann ebenfalls erforderlich werden, wenn der Lidschluss über den hervorgetretenen Augen nicht mehr möglich ist und die Hornhaut der Augen bedroht ist. Die Operation kann nur in spezialisierten Zentren durchgeführt werden.
Bei der Operation wird eine Öffnung der Augenhöhle zu den Nasennebenhöhlen geschaffen. Überflüssiges, geschwollenes Gewebe kann sich dann dorthin ausdehnen, ohne das Auge zu sehr aus der Augenhöhle zu drängen.
Korrekturoperationen an den Augenlidern
Ist das Augenlid durch die endokrine Orbitopathie zurückgezogen oder ist die Form des Augenlides beeinträchtigt, kann eine korrigierende Operation vorgenommen werden. Eine kosmetische Lidverlängerung ist möglich, wenn die endokrine Orbitopathie ins inaktive Stadium übergegangen ist und keine Entzündungszeichen mehr vorliegen.
Operation an den Augenmuskeln bei Doppelbildern
Bestehen Doppelbilder, so kann eine operative Korrektur der Augenmuskeln vorgenommen werden. Auch in diesem Fall sollte keine entzündliche Aktivität der endokrinen Orbitopathie mehr vorliegen.
Eine Operation sollte niemals bei aktiver Entzündung erfolgen, sondern erst in einem späteren inaktivem Krankheitsstadium.
Fettentfernung aus den Augenlidern
Sind die Augenlider störend geschwollen, kann operativ aus Ober- und Unterlidern Fett entfernt werden. Diese Operation kann an spezialisierten Zentren mit gutem Ergebnis durchgeführt werden. Auch hier gilt: Die Operation sollte möglichst erst nach Abklingen der entzündlichen Aktivität der endokrinen Orbitopathie durchgeführt werden.